Vor dem Auslaufen in Toulon haben sich vier Maler, fünf Zeichner und ein Dutzend Graveure eingeschifft und die Besatzung vervollständigt. Die Schlacht hat noch nicht begonnen, man hat sich der Beute noch nicht einmal genähert, da denkt man vor allem schon daran, diesen Feldzug in Illustrationen festzuhalten. Als ob der Krieg, der bevorsteht, ein Fest würde.

Assia Djebar, Fantasia

 

In den Mittagsstunden des 16. Mai 1843 überfielen in Algerien französische Truppen die Bevölkerung eines nomadischen Stammes, der in der Wüste an einer Quelle seine Zelte aufgeschlagen hatte. Das Ereignis war für die 1830 begonnene Kolonisation Algeriens insofern bedeutungsvoll, als es den größten algerischen Widerstandskämpfer gegen die französische Eroberung, Abd el-Kader (1808–1883), empfindlich traf. Nicht er selbst wurde bei dem Überfall besiegt, doch seine Familienmitglieder und mehrere Tausend Menschen aus seinem unmittelbaren Gefolge mussten sich ergeben.

1997 wurde im Herrenhaus Ludwigsburg auf dem gleichnamigen Gut bei Eckernförde unter einer floralen Velourstapete eine etwa 150 Jahre alte Bildtapete freigelegt, die jenen Moment darstellt, als das französische Militär auf die Smala, die Zeltstadt Abd el-Kaders, einstürmte. Für wenige Jahre um die Mitte des 19. Jahrhunderts dekorierte die Tapete einen als Speisezimmer genutzten Festsaal des Hauses; 1858 war sie vermutlich bereits überklebt. Mehrere Generationen lebten im Herrenhaus, ohne von der Bildtapete zu wissen. Im Laufe der Zeit jedoch hatte sich das verblasste Velours etwas gelöst. Als ich beauftragt wurde, die darunterliegende empfindliche Farbschicht wieder zum Vorschein zu bringen, war nichts über das Kunstwerk bekannt: Wir sahen nur einen kleinen Ausschnitt von blau uniformierten Reitern auf sandfarbenem Grund (Abb. 1). Während der insgesamt 2 054 Stunden, in denen meine Kolleginnen und ich die Velourstapete vorsichtig abtrugen und Stück für Stück Szenen aus der Wüste zum Vorschein kamen, stellten sich mir zunehmend Fragen. Zum einen nach dem politischen und kunsthistorischen Hintergrund der Dekoration, zum anderen aber nach den biografischen Voraussetzungen des algerisch-französisch-deutschen Kulturkontaktes, der hier zum Ausdruck kam: Wer schmückte, für kurze Zeit, einen Speisesaal im Herzogtum Schleswig mit Szenen der französischen Eroberung Algeriens?

Zwischen dem Überfall auf das Gefolge Abd el-Kaders 1843 und der Anbringung der Bildtapete in Ludwigsburg ab 1849 lagen etwa sechs Jahre. Weitere acht Jahre vergingen, bis die Ausstattung in einer Beschreibung des Hauses 1858 gar nicht mehr erwähnt wurde. Diese Zeitspanne bietet Raum für den Blick aus verschiedenen Perspektiven auf jene Ereignisse und Orte, an denen die Wandlung vom Kriegsschauplatz in ein Tapetenzimmer Gestalt annahm – und bildet den Rahmen für die Verflechtungsgeschichte der Protagonistin Marix.