Die Konferenz von Jalta im Februar 1945 besiegelte die Spaltung Europas in einen kapitalistischen West- und einen sozialistischen Ostblock, zwischen denen Zirkulationen nur sehr begrenzt stattfanden. Die Gegensätze zwischen den beiden konkurrierenden soziopolitischen Systemen waren so ausgeprägt und der Austausch so beschränkt, dass trotz vermehrter weltmaßstäblicher Beziehungsforschungen die künstlerischen Beziehungen zwischen damaligem Ost- und Westblock in der Zeit des Kalten Krieges ein erst noch zu erschließendes und zu erdenkendes Forschungsfeld bleiben.

Diesem Anspruch Rechnung zu tragen, erscheint im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts umso dringlicher, als innerhalb der Europäischen Union die Spaltung zwischen den früheren Ländern des Ostens und des Westens zunimmt. Angesichts dieser Entzweiung gilt es, die Spaltung zu »denken«. Sie zu denken, ohne sie noch einmal ins Spiel zu bringen – vielmehr zu analysieren, wie die Gegensätze entstanden sind, zu klären, auf welchen Grundlagen sie aufbauen, und nach der Existenz etwaiger wechselseitiger Teilhaben zwischen künstlerischen Praktiken in Ost und West zu fragen, die nicht vorstellbar waren, solange Diskurse und Forschungsarbeiten die vorgefassten Meinungen beider Seiten wiederholten. Während nun aber die meisten Forschungen zu Austauschprozessen und zu den Beziehungen aller Art in der zeitgenössischen Welt Konzepte der Zirkulation und Vernetzung zugrunde legen, stellt sich für uns die Frage, was es bedeutet, künstlerische Beziehungen zwischen Räumen zu denken, wenn die Zirkulationen Zwängen und Begrenzungen unterliegen.

Von welcher Art von künstlerischen Beziehungen kann dann die Rede sein? Können darin nur jene Konkurrenzen und Rivalitäten zutage treten, die das Spannungsverhältnis zwischen kapitalistischen und sozialistischen Regimen kennzeichnen, oder lassen sie auch Wechselwirkungen zwischen beiderseits des Eisernen Vorhangs entstandenen künstlerischen Schöpfungen ausmachen? Auf dem Weg zu einer Erkundung künstlerischer Wechselwirkungen zwischen Ost und West gilt es, sich noch einmal zu vergewissern, was unter »künstlerischen Beziehungen« zu verstehen ist respektive wie sie beschrieben werden, und zu fragen, welche Erwartungen sie erfüllen sollen.

1 – Forschungen zu den künstlerischen Beziehungen

Dieser Essay untersucht somit den Umgang mit den künstlerischen Beziehungen in Europa während des Kalten Krieges, ohne diese auf karikaturhafte Gegensätze oder Engführungen einzugrenzen. Ob in Monografien, kritischen Studien, Ausstellungen oder Artikeln – die Kunstgeschichte befragt fortwährend die Beziehungen. Anhand ihrer werden Einflüsse, Inspirationen, Entlehnungen, Relikte, Analogien, Übergänge, Wiederaneignungen analysiert. Man untersucht sie in Zeit und Raum oder aus anthropologischem Blickwinkel, im Spannungsfeld zwischen dem, was dem Menschen eigen ist, und dem, was zu seiner Repräsentation zählt. Die Beziehungen laden ein, sich für die Prozesse zu interessieren, durch die sie möglich wurden, und für die verschiedenen Auffassungen, in die die Analyse eines inmitten rhizomatischer Zusammenhänge betrachteten Objekts münden kann. Die Methoden der Betrachtung richten sich dabei nach den schrägen Bahnen, auf denen solche Beziehungen greifbar werden, abhängig davon, ob das Augenmerk auf formalen Bezugnahmen liegt oder auf Phänomenen der Rezeption, auf Vergleichen zwischen bildnerischer und schriftlicher Äußerung oder auf der Kartografie räumlicher und gedanklicher Verlaufsbahnen. Durch das Erfassen der Beziehungen, in die Werke oder Künstler eingebunden sind, lassen sich diese verorten, je nachdem ob man einen methodisch eindeutigen Blickpunkt bevorzugt oder aber verschiedene epistemologische Perspektiven zu kombinieren anstrebt, um zu einer plurifokalen Ansicht zu gelangen.